Am 10. Dezember 2014 teilte der Onkologe mir mit, dass in der histologischen Untersuchung nach meiner Operation keinerlei Tumorgewebe mehr gefunden werden konnte. Bereits durch die Chemotherapie war der Feind in meinem Körper besiegt. Tristan, wie ich meinen Tumor nannte, gab es nicht mehr.
Das war natürlich eine gute Nachricht und außerdem die Bestätigung, vorheriger Ultraschallbilder. Denn da konnte der Arzt schon keinen Tumor mehr entdecken und fand das bereits immer wieder phantastisch. Eine Operation wird dennoch vorgenommen und ziemlich großzügig Gewebe entnommen, um möglichst sicher zu gehen. Und eben dieses entnommene Gewebe war tumorfrei. Ein Grund zu feiern. Im Anschluss folgte dann noch die Strahlentherapie, die aus 35 Einzelterminen bestand, in denen ich radioaktiv verseucht wurde. Außerdem stand mir noch ein Jahr Antikörper-Therapie bevor, was bedeutete, alle drei Wochen zur Infusion zu gehen, insgesamt 17 Mal.
Genesen ist halt nicht gesund.
Und das gilt bis heute, denn ich habe immer noch Nach- und Nebenwirkungen, die gar nicht mehr weggehen.
Sämtliche Schleimhäute sind bis heute in desolatem Zustand und bereiten immer wieder Probleme.
- Der Magen-Darm-Trakt macht unregelmäßig Magen- und/oder Bauchschmerzen, bisweilen mit Blut beim Stuhlgang.
- Meine Augen waren immer schon trocken und sind jetzt noch trockener, manchmal fühlen sie sich an, als hätte ich Sand im Auge.
- Die Mundschleimhaut ist manchmal so trocken, dass ich kaum etwas essen kann. Wenn man das Problem nicht kennt, ahnt man gar nicht, wie sehr der Speichel für den Geschmack der Nahrung wichtig ist. Aber nicht nur geschmacklich ist das ein Problem, das Zahnfleisch bildet sich in diesen Phasen auch stark zurück.
- Meine Nase ist eine Dauerbaustelle, wegen der ich seit rund einem Jahr wieder in Behandlung bin. Sie läuft ununterbrochen und ist dauerhaft entzündet.
Die Haut an meinen Fingerkuppen, die sich während der Chemo binnen weniger Stunden abgelöst hatte, ist in einem so schlechten Zustand, dass ich massive Probleme mit allen möglichen Touch-Geräten habe, Fingerabdrucksensoren sind der absolute Endgegner. Selbst beim Ortsamt, als wir unsere Reisepässe abgeholt haben, hat der Fingerabdrucksensor mich nicht wiedererkannt. Manch einer würde sich vielleicht darüber freuen, mir machen diese Fingerkuppen aber das Leben schwer, denn Smartphones und andere Geräte, wie beispielsweise unseren Küchenherd zu bedienen, fällt mir an manchen Tagen extrem schwer.
Während der Behandlung mit Taxotere taten mir oft die Füße weh. Die Fußsohlen waren teils taub, teils kribbelten sie als würde ich über ein Nagelbrett laufen. Jeder Schritt schmerzte höllisch. Das ist noch bis etwa Ende 2019/Anfang 2020 geblieben, wenn auch immer seltener geworden und seither nicht mehr aufgetaucht.
Meine Haare sind zwar nach einigen Anlaufschwierigkeiten wieder halbwegs normal nachgewachsen, sind aber viel dünner und feiner als vorher. Aber ich beschwere mich nicht, die ersten Haare nach der Chemo waren gelockt und das sah ziemlich beschissen aus.
Und dann sind da noch meine Nerven … Das ist so schwer zu beschreiben. Anlässlich meiner letzten Chemo schrieb ich:
In dieser Zeit werde ich auch extrem ungeduldig und aufbrausend, genervt und gereizt. Hinzu kommt, dass mir oft die Worte fehlen, wenn ich etwas sagen möchte, was mich noch wütender macht. Und je ungehaltener ich werde, umso mehr fehlen mir die Worte, irgendwann bin ich völlig unfähig, mich halbwegs verständlich zu artikulieren. Ein Teufelskreis, in dem das Nervenkostüm blank liegt. In abgeschwächter Form werden dann ständig Buchstaben und Silben vertauscht, was wenigstens zur allgemeinen Erheiterung beiträgt.
Tja, das ist mir auch erhalten geblieben und tritt mal mehr mal weniger stark zu Tage. Wortfindungsstörungen, Gereiztheit, Wut usw. Mein Umfeld hat es bisweilen nicht leicht mit mir.
Vieles von dem, was ich hier beschrieben habe, wird verstärkt, wenn mein Körper auf andere Art belastet wird. Das ist bei Krankheiten oder medikamentösen Therapien der Fall. Auch meine Covid-Erkrankung hat hier vieles verstärkt. Die Nervenschäden treten insbesondere unter Stress zu Tage. Resilienz und Stressresistenz sind Fremdwörter für mich.
Mein Tumor war schnellwachsend und hormonabhängig, weswegen der Onkologe mir zu einer Antihormontherapie geraten hatte. Die habe ich aber nach ein paar Tagen wieder abgebrochen, das war die Hölle.
Nach fünf Jahren gilt man als geheilt. Diesen Zeitpunkt habe ich allerdings verpasst, denn die Antikörper-Therapie habe ich abgebrochen, bevor sie zuende war und danach bin ich bis November 2023 nicht mehr beim Gynäkologen gewesen. Im November 2023 war ich sowohl bei der Mammographie als auch bei der gynäkologischen Untersuchung und beides war ohne Befund. Das ist auch gut so, denn ich habe mir damals geschworen und das auch alle in meinem Umfeld wissen lassen, dass ich so eine Therapie nie wieder mitmachen würde.
Ich kann die vielen Momente hier gar nicht festhalten, die mich bzw. uns im Alltag an die Chemo-Therapie denken lassen. Ganz oft gibt es diese Einteilung in ein Davor und ein Seitdem. Natürlich bin ich froh, den Krebs besiegt zu haben. Aber dennoch habe ich bis heute das Gefühl, einen enorm hohen Preis dafür bezahlt zu haben.