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20 Jahre Rostock-Lichtenhagen

 ·  ☕ 3 Minuten zum Lesen  ·  ✍️ dark*

Heute vor 20 Jahren begannen die Ausschreitungen in Rostock Lichtenhagen auf das Gebäude der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber von Mecklenburg-Vorpommern (ZAst) sowie das Wohnheim für Vietnamesiche Vertragsarbeiter. Die Ausschreitungen dauerten bis zum 26. August 1992 an. (Zusammenfassung auf tagesschau.de)

Überall liefen Kameras mit. Am 10. Jahrestag der Krawalle kam auf dem Sender Spiegel TV (seinerzeit gebührenfrei in Berlin zu sehen) eine 24-stündige Reportage zum Thema. Nein, keine Reportage. Man ließ einfach die Filme laufen, zeigte die ungeschnittene und unkommentierte Wahrheit. Sehr eindrucksvoll war das. Ein großzügiger Einblick in die tiefen Abgründe unseres achso zivilisierten Seins. Eine Stunde davon ist hier auf YouTube zu sehen und macht auch heute noch Gänsehaut:

So ganz überraschend eskalierte die Situation in Rostock allerdings nicht.

Die Kapazität der ZAst betrug 250 bis 300 Betten. Tatsächlich aber lebten zeitweise bis zu 650 Menschen in dem Gebäude und auf dem Gelände davor, in den Tagen vor den Ausschreitungen trafen täglich 70 bis 80 weitere Asylbewerber ein. Etwa 400 Asylbewerber, vorwiegend Sinti und Roma aus Rumänien, kampierten in den Grünanlagen südlich der ZAst. Um diese Zustände nicht zu legalisieren, weigerte sich die Stadt jedoch, geeignete Vorkehrungen zu treffen, etwa mobile Toiletten aufzustellen. (Quelle: Wikipedia)

Da aber auch Asylbewerber ihre Notdurft verrichten müssen, erledigten sie dies notgedrungen auf den Grünflächen. Die Bevölkerung bzw. die Ladeninhaber beschwerten sich außerdem über gehäufte Ladendiebstähle, teilweise war von regelrechten Raubzügen zu lesen.

Im Sommer 1991 besuchte ein Vertreter des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) die ZAst und stellte fest, dass die Zustände dort nicht haltbar seien. Zudem warnte ein Mitarbeiter des Gesundheitsamtes am 18. Juni 1992 in einem Brief an Oberbürgermeister Kilimann vor drohenden Gefahren durch Infektionskrankheiten.

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Bereits im Juli 1991 warnte Oberbürgermeister Kilimann in einem Schreiben an Innenminister Georg Diederich vor dem sozialen Sprengstoff, den die Situation in Lichtenhagen berge. „Schwerste Übergriffe bis hin zu Tötungen sind nicht mehr auszuschließen“, so Kilimann. Rostocks Innensenator Peter Magdanz (CDU) warnte im Juli 1992 davor, „daß es kracht“.
(Quelle: Wikipedia)

Die Situation war bekannt, die Krawalle wurden sogar angekündigt. Aber offensichtlich hielt man es nicht für notwendig, bereits im Vorfeld etwas an den Zuständen zu ändern oder zumindest nach den Ankündigungen etwas zum Schutz der Bewohner zu unternehmen. Stattdessen will es fast scheinen, als ließe man ein paar gewaltbereite Chaoten die unliebsame Drecksarbeit machen. In der Folgezeit wurden das im Grundgesetz verankerte Grundrecht auf Asyl durch die Regierungskoalition CDU/CSU und FDP unter Zustimmung der SPD geändert.

Jetzt im Nachhinein drängt sich schon der Verdacht auf, dass Rostock den Parteien seinerzeit gerade Recht kam. Keiner verlor sein Gesicht, wenn er der Änderung zustimmte. Nicht nur die Lage, auch die Anzahl der Asylbewerber hatte sich nach dem Fall des Eisernen Vorhangs dramatisch verändert. Hinzu kamen Spätaussiedler, Osteuropäer im Rahmen von Familienzusammenführungen usw. Die Deutschen waren nicht ausländerfeindlicher geworden, sie fühlten sich regelrecht übersättigt mit Einwanderern. (Lt. Emnid hatte sich 74 % der Bevölkerung dafür ausgesprochen, das Recht auf Asyl einzuschränken.) Da war man in der Bevölkerung wie in der Politik ganz froh über ein paar Idioten, die sich freiwillig die Finger schmutzig machen, nicht wahr? Ich weiß gerade nicht, was mich mehr anwidert.

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