Als hätte ich es geahnt, wollte ich am Montag unseren Morgenspaziergang am Ostseestrand absolvieren, was wir auch taten. Kurz nachdem wir wieder zuhause waren, wurde es ein wenig turbulent.
Ich war in den vergangenen Wochen mehrfach beim Arzt. Seit Juni letzten Jahres, also seit meiner Corona-Infektion, plagt mich trockener Husten, der anfangs eigentlich nur gelegentlich auftrat und ein wenig lästig war, sich aber ganz gut ignorieren ließ, bis er sich im Frühjahr dieses Jahres zu einem unangenehmen Begleiter mit regelrechten Hustenattacken entwickelte. Letzten Monat raffte ich mich dann endlich mal auf und ging zur Hausärztin.
Die schickte mich zum Röntgen und zum Pulmologen. Beim Pulmologen gibt es erst im Herbst wieder freie Termine, Mitte November ist dann meiner. Zum Röntgen kann man jederzeit ohne Termin, das ging echt schnell. Der Befund war zwei oder drei Tage später bei der Hausärztin und eher unklar: Streifen oder Schatten zu sehen, nichts Genaues weiß man nicht, man braucht ein CT um das zu klären. Eine neue Überweisung für das CT wurde ausgestellt und ich besorgte mir einen Termin etwa 10 Tage später, was vorletzte Woche war.
Letzten Montag dann rief die Hausärztin an, der Befund vom CT sei nun da, ob ich “heute noch” vorbeikommen könnte. Oha, das klang ernst. Ich ließ quasi alles stehen und liegen und trabte zur Praxis. Was sie mir dann sagte, klang noch viel weniger gut. Im CT meiner Lunge war irgendwas zu sehen, was irgendwie nicht eindeutig zu identifizieren war, Entzündungen oder Metastasen. Ich sollte am selben Tag noch ins Krankenhaus, sie hatte bereits mit dem Oberarzt der Pulmologie-Station telephoniert und mein Kommen angekündigt. Ich bekam eine Klinik-Einweisung sowie die besten Wünsche und gedrückte Daumen mit auf den Weg.
Uff. Ein Tristan-Revival? Das konnte doch nicht sein, dass mein Leben schon wieder in ein Davor und ein Seitdem geteilt werden sollte! Und dann auch noch Lungenkrebs, meine Güte. Wie viele Tiefschläge kann bitte ein Mensch aushalten? Ich rief den Lebensabschnittsgefährten an, der mit mir schon durch manch schwere See gesegelt ist, und nun nicht weniger geschockt war. Er musste mich ins Krankenhaus bringen. Dann schickte ich noch eine leicht verheulte Sprachnachricht an meinen einzigen Sozialkontakt.
Zuhause räumte ich Zeug weg und Zeug ein, raffte Arztbriefe und Klamotten zusammen, dann fuhren wir los. Beinahe hätte ich noch die CD vom CT vergessen. Die Bilder sehen übrigens sehr spannend aus, wie ein Flug durchs All, bei dem man irgendwelchen Gesteinsbrocken ausweichen muss oder so. Im Arztbrief steht übrigens auch, dass die linke Nebenniere etwas vergrößert ist.
Ich wurde auf der Station aufgenommen und bekam einen Zugang gelegt von einer jungen Frau, die das zum ersten Mal machte. Ich biss tapfer die Zähne zusammen und ließ mir nicht anmerken, wie unangenehm es war, ich wollte die Arme nicht verunsichern. Dann gab Mittag, ein Süppchen. Hühnersüppchen mit Nudeln, vereinzelten Möhren und Brokkoli. Auch das noch, Brokkoli in der Henkersmahlzeit! Der Hunger trieb’s rein. Mein Zimmer war übrigens direkt neben dem Hubschrauberlandeplatz, wo auch tatsächlich kurz darauf ein Hubschrauber landete. Sehr spannend.
Irgendwann kam der Student im Praktischen Jahr für die Anamnese. Eine Stunde waren wir damit beschäftigt, meine ganzen Vorerkrankungen, Operationen und größeren gesundheitlichen Katastrophen aufzudröseln und auseinanderzuklamüsern. Ich bin ein Wrack. Er erzählte mir auch, dass die Ärzte der Abteilung nach Sichtung der CT-Bilder eher zu Entzündungen tendieren, was mich ein klein wenig beruhigte. Am nächsten Tag sollte eine “Röntgenkonferenz” ohne mich aber dafür mit Chefarzt, der sich wirklich absolut gut mit CT-Bildern auskennt, wie mir mehrfach versichert wurde, sowie eine Bronchoskopie mit mir aber dafür ohne Chefarzt stattfinden. Beruhigend zu wissen, dass ich dabei schlafen gelegt wurde.
Als ich mit dem Lebensabschnittsgefährten telephonierte, weil ich Zeug vergessen hatte, landete wieder ein Hubschrauber, was zu einem ziemlich abrupten Ende des Telephonats führte. Nach der Arbeit kam der Mann nochmal vorbei und brachte das Zeug mit, das ich morgens vergessen hatte. Mittlerweile waren wir etwas gefasster und beruhigter. Vielleicht also doch keine Metastasen. Denn zu denen würde ja auch noch ein Tumor irgendwo anders in meinem Körper gehören, wie mir im Laufe des Tages aufging. Eine Vorstellung, die mir so gar nicht gefiel.
Mein Abendessen wurde improvisiert. In Krankenhausküchen ist es immer wieder absolut überraschend, dass auf den Stationen im Laufe des Tages Patienten aufgenommen werden. Ich war schon in vielen Krankenhäusern, es ist überall dasselbe. Es gab auf dem Essenswagen drei Tabletts von Patienten, die entweder entlassen wurden oder nicht essen wollten. Von denen durfte ich mir aussuchen, was ich wollte. Dann brachte sie mir noch Tee, den ich mir eigentlich auch selbst hätte holen können. Die Mitarbeiterin war wirklich sehr nett und geduldig.
Schlafen konnte ich in der Nacht nicht, es war viel zu warm und zu fremd und eine Spur zu aufregend alles. An der Tür zum Zimmer neben mir prangte ein gut sichtbares Schild “Isolation”. Da latschte man also nicht einfach so rein. Mit dem Mann im Zimmer neben mir teilte ich mir allerdings das Bad, das zwischen den beiden Zimmern liegt. Da latschte jeder von uns einfach so rein. Das erschien mir etwas kafkaesk.
Statt Frühstück gab’s am nächsten Morgen laminierten Zettel auf dem stand, dass ich nüchtern bleiben muss. Irgendwann wurde ich dann für einen Lungenfunktionstest und zur Bronchoskopie geholt. Über mir in bequemer Blickrichtung hing ein großer Monitor, auf dem das Team später das Innere meiner Lungen sehen würde. Ich hätte das ja schon spannend gefunden, aber ich bestand darauf, zu schlafen. Zunächst gab’s Sauerstoff in die Nase, der ziemlich kalt war und einen unangenehmen Geruch hatte. Dann gab’s ein Spray in Rachen und beide Nasenlöcher, was betäuben sollte und sehr unangenehm war. Dann gab es irgendwelches Zeug in den Zugang, mir wurde schwindelig und der Film riss.
Als ich wach wurde, hatte ich Hunger, Kreislaufprobleme und Halsschmerzen. Die Kreislaufprobleme löste ich, indem ich einfach liegen blieb. Ein junger Typ in weißem Kittel (Auszubildender oder FSJler vielleicht) betrat das Zimmer und ich fragte ihn, ob es denn für mich schon Frühstück gäbe. Er versprach nachzusehen und kehrte mit einem Tablett mit Brötchen, Schinken, Käse, Marmelade und Kaffee zurück.
Ich telephonierte mit dem Herrn Lebensabschnittsgefährten und berichtete ihm kauend ins langweilige Homeoffice von meinem aufregenden Krankenhaustag, als eine Schwester das Zimmer betrat, erst auf mein Frühstückstablett dann streng auf mich blickte und fragte: “Wo haben Sie das denn her?”. Ich war geständig und verriet den jungen Typen, der mir das gebracht hatte. “Ich wusste ja nicht” und ähnliches stammelte ich vor mich hin. Ich dürfte bis zu zwei Stunden nach dem Eingriff nichts essen und trinken. Sprach’s und trug alle Leckereien inklusive Kaffee davon. Wie gewonnen so zerronnen.
Das Zimmer füllte sich, ich bekam erst eine, dann eine zweite Bettnachbarin und dann sogar Mittagessen.
Nach dem Essen kam die Ärztin und erzählte mir, dass bei der Bronchoskopie definitiv entzündliches Zeugs festgestellt wurde. Es wurde Eiter abgesaugt. Theoretisch sollte bereits jetzt das Atmen wieder deutlich leichter fallen. Da ich aber immer noch Halsschmerzen hatte und sich alles wund anfühlte, konnte ich noch nicht wirklich eine Besserung feststellen. Außerdem hatte ich den ganzen Tag schon fürchterliche Kopfschmerzen, wogegen ich um eine Paracetamol bettelte. Erfolgreich.
Im vorläufigen Arztbericht steht als Verdachtsdiagnose eine COPD. Ich soll 14 Tage lang ein Antibiotikum nehmen und habe nun außerdem so ein Spray, um besser atmen zu können. Und außerdem soll ich in drei oder vier Wochen wiederkommen für eine Kontrolluntersuchung, ein PET-CT, für das ich wieder verstrahlt werde. Einen Malignitätsverdacht gibt es nämlich immer noch. Aber bis dahin darf ich erstmal wieder nach Hause, den Blick von meinem Balkon genießen.
Donnerstag war ich dann noch bei der Hausärztin, mich brav aus dem Krankenhaus zurückmelden. Nachdem ich erzählt hatte, was geschah und sie sich den Arztbrief durchlesen hatte, starrte sie noch einen Moment grübelnd auf den Monitor, auf dem der Arztbrief noch geöffnet war, und murmelte etwas vor sich hin, irgendwas mit “Immunsystem”. Dann sah sie mich an und fragte, ob ich etwas dagegen hatte, mal einen HIV-Test zu machen. What? Na, meinetwegen.
Freitag rief die Ärztin aus dem Krankenhaus an. Ich habe nun einen Termin für die nächste Untersuchung. Es bleibt weiterhin spannend, ob mein Leben mal wieder auf links gedreht wird, oder ob diese Episode nun vorbei ist.