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Slow-Motion-Zombie

 ·  ☕ 4 Minuten zum Lesen  ·  ✍ dark*

Wenn mich jemand fragt, wie ich mich fĂŒhle, dann beschreibt es der Titel des Beitrages ganz gut: Wie ein Slow-Motion-Zombie. Und dieses GefĂŒhl ist ziemlich Ă€tzend. Und dieser Zustand macht das Leben einerseits furchtbar anstrengend andererseits ziemlich eintönig und nicht besonders lebenswert.

Dreimal wöchentlich nehme ich abends die Tuberkulostatika gegen meine Mykobakteriose. Und dreimal pro Woche bin ich im Tag darauf ziemlich mĂŒde und neben der Spur. Den Rest der Woche bin ich ohne Medikamente mĂŒde und neben der Spur. Das unterscheidet sich aber durchaus in der Art und der IntensitĂ€t.

Seit zwei Jahren kĂ€mpfe ich nun schon mit einem Fatigue-Syndrom. Das kenne ich ja von meiner Chemo-Therapie, wĂ€hrend der es teilweise so krass war, das ich nur noch im Bett liegen konnte und es nicht einmal geschafft habe, mir etwas zu essen zu machen. So schlimm ist es diesmal nicht. Aber phasenweise besteht mein Leben ausschließlich aus Couch und KĂŒche, was mich zusĂ€tzlich belastet und noch mehr lĂ€hmt. Was davon mittlerweile Folge der Medikamente ist und was immer noch auf die Corona-Infektion zurĂŒckzufĂŒhren ist, ist schwer einzuschĂ€tzen. Vielleicht ist es eine Kombination aus beidem, denn bevor die Medikamenten-Therapie losging, war ich deutlich besser drauf. Nachdem im September der Eiter aus meinen Bronchien abgesaugt worden war, war ich sogar wieder zu einer Paddeltour und anderen AktivitĂ€ten in der Lage. Heute finde ich allein die Vorstellung, so etwas zu machen, ziemlich belastend.

Aber es geht auf und ab, ist mal stÀrker, mal schwÀcher aber immer nervig und extrem einschrÀnkend.

Damit einher geht meist auch eine furchtbare Leere im Kopf. Ich höre dann den ganzen Tag irgendwelche Podcasts (meist True Crime und allgemein verstĂ€ndlich aufbereitetes Wissenschaftszeug), um die Leere im Kopf mit irgendetwas zu fĂŒllen. Ich Ă€rgere mich ĂŒber BlogbeitrĂ€ge, die liegenbleiben - wie dieser hier, den ich schon am Montag angefangen habe, oder auch das gerade erst begonnene 80-Tage-Norwegen-Projekt im Reiseblog. Auch das belastet mich zusĂ€tzlich.

Mein Gehirn lĂ€uft auf Sparflamme. Erinnerungsvermögen, Phantasie, logisches Denken, Problemlösungen und noch Vieles mehr fallen mir unglaublich schwer. Selbst wenn ich dem Herrn LebensabschnittsgefĂ€hrten mal irgendwas vorlese, was mir gerade interessant erscheint, merkt man das. Meine Lesefluss ist nicht flĂŒssig, meine Aussprache bei englischen Texten grottig. Norwegisch kann ich fast gar nicht mehr. Wir spielen nur noch selten Gesellschaftsspiele. Und als ich neulich Auto fahren musste, habe ich tatsĂ€chlich meine Tabletten-Einnahme um einen Tag verschoben, um nicht auch noch diese zusĂ€tzliche Belastung zu haben. Und dann habe ich den ganzen Tag nur rumgelegen und mich ausgeruht, damit ich nachmittags fit genug zum Fahren bin.

Ich kann mich auf so unfassbar schlecht zu irgendetwas aufraffen. Seit Anfang Mai hĂ€tte ich eigentlich mal wieder zum Blutabnehmen gemusst. Gestern Morgen hat der Herr LebensabschnittsgefĂ€hrte mich dann quasi an die Hand genommen und bis zur Praxis begleitet. Das erleichtert das Aufraffen ungemein. Das Bad zu putzen, die Wasch- oder SpĂŒlmaschine einzuschalten oder auch nur ein Bild in sozialen Netzwerken zu posten, ist oft schon zuviel verlangt. Es lĂ€sst sich so schwer erklĂ€ren - zumal mir ja eh stĂ€ndig die Worte fehlen. Alles ist einfach nur unfassbar anstrengend.

Das Durchhaltevermögen, das nötig ist, um die Behandlung zu Ende zu bringen, wird von Woche zu Woche knapper. Ich glaube, ohne den Herrn LebensabschnittsgefĂ€hrten hĂ€tte ich die Behandlung lĂ€ngst abgebrochen. Erschwert wird das Ganze durch eine Aussage meines Pneumologen. Als mir letztes Jahr in der Uni-Klinik die Behandlung nahegelegt wurde, hieß es, ich muss die Tuberkulostatika ein Jahr lang nehmen. Dann wird eine Kontroll-Bronchoskopie durchgefĂŒhrt. Vermutlich hat die Ärztin noch mehr gesagt, aber das war eh schon ziemlich viel Input an dem Morgen, da habe ich mir nicht alles gemerkt. Aber ich habe nachgelesen. Wenn die Kontrolle ergibt, dass keine Bakterien mehr nachweisbar sind, soll man die Medikamente noch ein paar Wochen (zwei Monate oder so) nehmen und dann ist’s gut. Ansonstens geht’s in die VerlĂ€ngerung. Vor ein paar Wochen kam ich auf die Idee den Arzt zu fragen, wie denn die Prognose dafĂŒr sei, dass ich nach einem Jahr bakterienfrei bin. Nun, da meine Kontroll-CTs ergeben haben, dass ich auf dem Weg der Besserung bin, ist die Hoffnung nicht verloren. Aber er hat auch einen Patienten, der bereits ins dritte Jahr geht … Drei Jahre! Ich muss also nun irgendwo Optimismus hernehmen, was mir gar nicht so leicht fĂ€llt. Aber auch dafĂŒr habe ich den Herrn LebensabschnittsgefĂ€hrten.

Vorerst versuche ich also weiterhin, meine Tage und Wochen auf Sparflamme zu meistern, als Slow-Motion-Zombie ab und zu mal durch den Park zu schleichen, um nicht nur in der Bude zu hocken, und mich nicht daran zu stören, wenn ich nicht all meine Spleens ausleben kann, weil dazu die Kraft fehlt, die wenigen guten Tage intensiv zu nutzen und mich mit all diesen EinschrÀnkungen zu arrangieren.

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