Der Morgen fing schon überfordernd an. Wir waren irgendwann zwischen 5 Uhr und halb Sechs wach und standen schon vor 6 Uhr auf. Der Herr Lebensabschnittsgefährte nutzte die frühe Stunde vor dem angekündigten Regen und radelte zur Eierfrau. Ich trank erstmal Kaffee und hörte den 6-Uhr-Podcast der Tagesschau.
Während ich gerade über die Aussage gestolpert war, dass sich schwule Männer im Profisport nicht outen würden, weil dort ja Stärke und sowas gefragt sei (Hä? Können Schwule nicht stark sein?), unterbrach mein Kopfhörer den Podcast und begann, auf Englisch Ziffern vorzulesen: “Four, nine, one, seven, …”. Das macht der immer so, der nennt nicht den Namen des Anrufers, sondern liest die Telephonnummer auf Englisch vor. Da es kein Telephonklingeln gibt, irritiert mich das immer wieder - und ganz besonders natürlich zu so früher Stunde.
Auf meiner Smartwatch wurde angezeigt, dass der Herr Lebensabschnittsgefährte der Anrufer sei und ich tappte mit meinen dicken Fingern auf dem winzigen Bildschirm herum, um das Gespräch anzunehmen. Im Kopfhörer war es still. Also nahm ich diesen ab und schaltete den Bildschirm meines Smartphones ein. Wo ist denn diese verdammte Telephon-App? Plötzlich hörte ich eine Stimme aus einem Lautsprecher. Ich schaltete den Kopfhörer aus und nahm das Smartphone ans Ohr. “Hast du wieder Streit mit deinem Kopfhöhrer? Ich habe dir gerade ein Bild geschickt.” Hier ist keine Benachrichtigung angekommen. Ich bin restlos überfordert mit dem ganzen Technikkram, ich will Kaffee.
“Unsere” Eierfrau - Wieso baut man da eigentlich immer so besitzanzeigende Fürwörter ein? - jedenfalls hat “unsere” Eierfrau manchmal irgendwelches Gemüse aus ihrem Garten zusätzlich im Angebot, der Mann begehrte zu wissen, ob er Möhren mitbringen soll. Wenn er Bock auf Möhren hat, warum bringt er die dann nicht einfach mit? “Ja, mach mal ruhig.”
Kaffee.
Als der Herr Lebensabschnittsgefährte zurück war, begann es gerade zu regnen. Ich schlürfte meinen dritten Kaffee und guckte aus dem Fenster. Auf der Wiese gegenüber waren schon den ganzen Morgen wieder zwei Rehe unterwegs. Jetzt lagen sie im Gras. Wie niedlich ist das denn, bitte? Der Herr Lebensabschnittsgefährte holte die Kamera aus dem Arbeitszimmer.
Vielleicht ist es gar nicht so niedlich, wie es auf den ersten Blick wirkt. Seit Tagen schon haben wir den Eindruck, dass da nicht zufällig ständig zwei Rehe unterschiedlichen Geschlechts auf der Wiese gegenüber zu sehen sind. Kurz darauf entdeckte ich sogar noch ein drittes Reh.
Nach einer Weile standen Herr und Frau Reh wieder auf und starteten eine Verfolgungsjagd. Der Mann hatte die Kamera schon wieder weggeräumt. Ich riet ihm, die nochmal zu holen, das könnte ja vielleicht gleich noch zur Sache gehen. Aber erstmal spielten sie nachlaufen.
Das ging eine ganze Weile so. Ich beschäftigte mich kurz mit meinem Smartphone, als der Herr Lebensabschnittsgefährte grinsend verkündete: “So, das war’s!” Ich verstand nicht sofort: “Wie, sind die jetzt schon fertig?” Jo, waren sie. Und ich hab’s natürlich verpasst. Aber der Spanner mit der Kamera hat draufgehalten.
Ich freue mich schon auf die kleinen Rehe im nächsten Jahr.