Es trug sich im Jahre 2009 des Herren zu, dass ich einen neuen Fernsprechapparat erwarb und eines abends gelangweilt auf der Chaiselongue vor mich hin vegietierend auf dem Bedienelement des neuen Geräts herumdrückte. Da forderte es mich auf, einen Namen einzugeben. Gänzlich unkreativ tippte ich “Hugo” ein. So wurde das schnurlose Telephon auch fortan genannt. Zwei Jahre später wurde Hugo ausrangiert und durch Henriette ersetzt.
Im April dieses Jahres, am 20. um genau zu sein, beschloss ein Ringeltaubenpärchen aus der Umgebung, dass unser Balkonblumenkasten ein geeigneter Nistplatz sei. Sie schleppten ein paar Zweige an, verteilte sie auf der ausgedörrten Erde, die da noch vom Vormieter drin war, und nahmen neben Charly, meiner Metall-Ameise, Platz.
Uff. Was sollte ich denn davon halten? Vögel fand ich immer schon toll und seit Island noch viel toller. Es gibt so viele niedliche, hübsche, interessante und coole Gockels da draußen, aber ausgerechnet Tauben? Nun denn, auch wenn sie nicht meine erste Wahl waren, aber ich offensichtlich ihre, durften sie bleiben, vorausgesetzt sie akzeptierten, dass wir weiterhin unseren Balkon nutzen.
Nach zwei Tagen war das Nest soweit fertiggestellt und Henriette saß regelmäßig drin und guckte argwöhnisch, wenn ich den Vorhang beiseite schob.
Die meiste Zeit ließ ich den Vorhang ein Stück zu, damit Henriette ein bisschen Ruhe hat. Allerdings konnte ich es nicht sein lassen, regelmäßig nachzusehen, ob sie noch da ist.
Der Blumenkasten ist quasi genau neben meinem Stuhl auf dem Balkon. Jeden Mittag und jeden Nachmittag, wenn wir auf dem Balkon saßen, war die Taube höchstens einen Meter von mir entfernt. Und mit der Zeit gewöhnte sie sich an meine Anwesenheit.
Der Osterhase war da! Am 25. April erspähte ich morgens das erste Ei im Nest. Einen oder zwei Tage später gab es auch noch ein zweites, aber vorerst keine Möglichkeit, das zu photographieren, da saß ja immer einer drauf. Zwar war ich nicht in der Lage, Hugo und Henriette optisch zu unterscheiden, aber an der Reaktion erkannte man doch ganz gut, wer gerade auf dem Nest saß. Frau Taube war da deutlich entspannter als Herr Tauber.
Ab und zu bekamen wir den Schichtwechsel auf den Eiern mit, ansonsten nur Tauben in der Sonne und Tauben im Regen.
Ende April dann der erste Angriff, den ich mitbekommen hatte:
Hier der Übeltäter. Als ich auf den Balkon ging, hat die Krähe sich lieber verdrückt, war ihr wohl doch zu riskant.
Einmal hat der Herr Lebensabschnittsgefährte, der ja immer noch im Home-Office arbeitet, wilde Verfolgungsjagden zwischen Taube und Krähe mitbekommen und die Krähe verscheucht.
Am 1. Mai beim Schichtwechsel gelang es uns endlich mal, beide Eier zu knipsen, bevor sie wieder besetzt wurden.
So langsam gewöhnten wir uns aneinander und der Anblick von Henriette im Blumenkasten gehörte genauso zum Balkon wie der Sonnenschirm, der Tisch und die Stühle. Henriette war Teil des Inventars geworden und wir waren schon gespannt auf die (zugegebenermaßen ziemlich hässlichen) Küken, die sie haben würde.
Bis gestern. Als ich gestern Morgen zum Frühstückstisch kam und mein Blick wie jeden Morgen zum Blumenkasten wanderte, saß dort keine Henriette. Stattdessen standen ein paar Zweige ziemlich wirr hoch. Henriette war weg und die Eier waren auch weg. Vermutlich haben die Krähen gewonnen.
Eine Eierschale und jede Menge Federn waren geblieben. Eine große Feder lag im Blumenkasten und unten vor dem Haus lagen noch viel mehr Federn. Charly ist der einzige Zeuge, aber der schweigt. Nun gehört der Blumenkasten wieder mir. Heute habe ich Nest und die ausgedörrte Erde rausgeräumt, bevor ihn wieder einer besetzt. Denn eigentlich würde ich ja lieber Blumen als Tauben dort anpflanzen …