Wie erwartet, hat die Stanzbiopsie die Röntgendiagnose bestätigt.
Und natürlich bringt das alles auch wieder einen dieser typischen dark*-Zufälle mit sich, die mein Leben aus irgendeiner unerschöpflichen Quelle für mich bereit hält: Hatte ich den Gynäkologen ja unter anderem danach ausgesucht, dass er Belegbetten in einem Krankenhaus betreut und selbst operiert, so verkündet er mir letzten Donnerstag, dass er diese Tätigkeit zum 31.03.2014 eingestellt hat. So lernte ich dann gestern den zweiten Gynäkologen in Darmstadt kennen. Dieser operierte nicht nur selbst, er ist auch onkologisch verantwortlicher Arzt. Und der ging gleich in die Vollen!
Am Montag war dort mein erster Termin. Er las den Arztbrief der Radiologin und den Histologie-Befund durch, dann machte er auch noch eine Tastuntersuchung und ein Ultraschall. Anschließend sollte ich zur Besprechung kommen. Er zählte auf, welche Möglichkeiten der Behandlung bestehen, wie man es vor einigen Jahren noch gemacht hat und was sich in der Zwischenzeit verändert hat. Ich war froh, meinen Krebs heute bekommen zu haben und nicht vor 15 Jahren. Die Medizin hat rasante Fortschritte gemacht. Früher schnitt man Frauen mit einem Tumor in der Brust auf, untersuchte noch während der Vollnarkose das entnommene Gewebe und entschied je nach Befund, wie es mit der Frau auf dem Tisch weitergeht. Heute klärt man das alles im Vorfeld und die unangenehmen Überraschungen beim Aufwachen aus der Narkose halten sich in Grenzen. Dafür muss man einen regelrechten Ärzte-Marathon hinlegen, bevor überhaupt mal irgendeiner anfängt eine Krankheit zu behandeln. Aber was tut Frau nicht alles, um die Brust zu erhalten.
Als Behandlung schwebt ihm zunächst die Entfernung eines Lymphknotens vor. Bei der Gelegenheit sollte auch der Port implantiert werden. Beides während eines stationären Aufenthalts. Im Anschluss soll die erste Chemo-Therapie erfolgen, acht Einheiten, jeweils im Abstand von drei Wochen. Nach diesen rund 24 Wochen (der genaue Zeitraum hängt davon ab, wie gut ich die Chemo-Therapie vertrage) wird der bis dahin hoffentlich etwas kleiner gewordene Tumor entfernt. Anschließend gibt es dann noch einmal Chemo und Bestrahlung (Reihenfolge dieser beiden Behandlungen weiß ich gerade nicht). Und irgendwo dazwischen oder gleichzeitig oder wie-auch-immer gibt’s dann noch eine Hormonbehandlung. Denn mein Tumor ist vor allem zwei Dinge: schnellwachsend und hormonabhängig.
Ich weiß nicht, ob ich das alles richtig behalten habe. Die ersten Tränen flossen, als er erwähnte, dass die Haare ausfallen und ich eine Perücke bekommen werde. Außerdem malte er mir die Größe meines Tumors auf, einen größeren Kreis um ihn herum, der veranschaulichen sollte, wie viel er jetzt wegschneiden müsse. 2,55 cm Durchschnitt hat der Tumor, plus ein Sicherheitspolster von einem Zentimeter rundherum, ergäbe einen Durchschnitt von 4,55 cm, die entfernt werden müssten. Naja, viel mehr ist da dann auch nicht wegzuschneiden. Daher die Vorbehandlung mittels Chemo-Therapie, damit nach der OP auch noch ein wenig Frau übrig ist.
Ich bekam eine Überweisung zum Radiologen zum Thorax-Röntgen, für ein Leber-Sono und eine Knochenszintigraphie. Außerdem eine Überweisung zum Kardiologen für eine Echokardiographie. Und dann noch eine Überweisung zu einem Chirurgen für eine Port-Einlage. Und oben drauf gab es eine Krankmeldung für die folgenden 14 Tage. Mein nächster Termin war am heutigen Mittwoch zur erneuten Besprechung und anschließenden Einwilligung in die OP (oder auch nicht, meine Entscheidung). Die Sprechstundenhilfe war auch so nett, mir einen Termin beim Radiologen für heute zu besorgen. Derart ausgerüstet ging ich nach Hause, heulte eine Weile vor mich hin und suchte mir Musik für meine Beerdigung aus.
Nachdem ich letzte Woche Donnerstag mit der gesicherten Diagnose und dem Termin beim neuen Arzt die Praxis meines Gynäkologen verließ, stand ja bereits fest, dass ich zeitnah ins Krankhaus muss. Da war ich noch Tussi genug, wie ich entsetzt feststellte, dass zu den wenigen Dingen, die mir danach im Kopf rumgingen, auch die Frage gehörte, welche Klamotten ich mitnehmen soll und ob ich noch irgendetwas kaufen müsse. Am Montag war mir die Klamottenfrage dann auch egal. Wichtiger war, meinen Arbeitgebern Bescheid sagen zu müssen. Den Krefeldern schrieb ich eine E-Mail, im Möbelhaus rief ich an und informierte die Abteilungsleiterin, schließlich sollte ich Dienstag arbeiten.
Mir war schon wieder zum heulen zumute. Außerdem machten sich Halsschmerzen breit. Zu allem Überfluss hatte ich mir auch noch einen grippalen Infekt zugezogen, der mich Montagabend sehr zeitig ins Bett warf, mich zweimal nachts schweißgebadet aufwachen ließ und mir am Dienstagmorgen einen dicken Kopf und eine verstopfte Nase verpasste. Ich quälte mich trotzdem aus dem Bett und fuhr ins Möbelhaus. Irgendwie musste ich dort ja auch noch besprechen, wie es mit mir weitergehen sollte, ob ich mir einen neuen Nebenjob suchen muss oder nicht usw. Doch dazu in einem anderen Beitrag vielleicht mehr.
Heute Morgen machte ich mich auf den Weg zur Radiologin. Ursprünglich war für heute nur der Thorax und das Leber-Sono geplant, die Knochenszintigraphie sollte nächste Woche stattfinden. Aber zu meinem Glück hat ein Patient seinen Szintigraphie-Termin abgesagt und ich wurde gefragt, ob ich das nicht heute direkt machen möchte, dann müsse ich nicht wiederkommen. Für mich stellte das zwar kein Problem dar, aber ich gab zu bedenken, dass ich im Anschluss an den Radiologen-Termin wieder bei meinem Arzt vorstellig werden sollte. Die Sprechstundenhilfe war äußerst freundlich und zuvorkommend, sie rief in der Praxis an und klärte ab, dass ich zur Besprechung käme, sobald man mir das Kontrastmittel gespritzt hätte. Perfekt.
Zunächst wurde die Lunge geröngt. Still stehen in unnatürlicher Position an die eiskalte Röntgenplatte gedrückt ist zwar unangenehm, wurde aber ganz locker und lässig von dem getoppt, was mich noch erwartete. Und damit meinte ich nicht die Kontrastmittelspritze, die ich als nächstes bekam, und auch nicht die darauf folgende Sonographie meiner Leber. Alle drei bildgebenden Verfahren, Röntgen, Sonographie und Szintigraphie, die ich heute über mich ergehen ließ, dienen übrigens der Feststellung, ob irgendwo Metastasen vorhanden sind. Glücklicherweise sind sie das zumindest in Leber und Lunge nicht, wie ich sofort erfuhr, und auch meine vor vier Jahren diagnostizierte und angeblich unheilbare chronische Bronchitis ist wie durch ein Wunder verschwunden. Allerdings ist mein Husten geblieben, weswegen ich der Sache demnächst wohl doch mal mit Hilfe eines Pulmologen auf den Grund gehen werde.
Verstrahlt wie ich war, ging ich erst einmal zum Arzt; das Kontrastmittel benötigt eine Weile, bis es sich überall dort, wo man hingucken will, verteilt hat. Da war genug Zeit für das Gespräch. Ich willigte in die Operation und die ganzen Behandlungen, die er für richtig hält, ein. Meine Brust wurde mit Edding angemalt und anschließend photographiert. Dann bekam ich eine weitere Überweisung (nebst telephonisch vereinbartem Termin) zum Radiologen. Mein Lymphknoten sollte vor der OP markiert und blau eingefärbt werden. Es ist schon irre, was die alles mit einem anstellen. Und es ist ebenso irre, dass ich dafür sowohl am Donnerstag als auch am Freitag jeweils zwischen sieben und acht Uhr morgens in der Praxis erscheinen soll. Man gab mir noch eine Überweisung für die Klinik mit, dort sollte ich Donnerstag bis 10 Uhr aufschlagen. So langsam artet die Krankheit in Stress aus.
Zurück in die Radiologische Praxis. Ich musste noch ein wenig warten und noch einiges Trinken. Mindestens eine Flasche Wasser sollte man in der Zeit geschafft haben und möglichst oft auch wieder Wasser gelassen haben. Die medizinische Fachkraft, die für die Szintigraphie zuständig war, wies mich irgendwann an, in etwa zwei Minuten noch einmal zur Toilette zu gehen, danach sollte es losgehen. Dann verschwand sie in dem Zimmer, aus dem ich das Surren verschiedener Apparate hörte. Ich tat, wie mir geheißen, betrat anschließend den Raum und erblickte …
DerGerät! Dieses Ding sollte mein komplettes Skelett von oben bis unten ablichten. Ich sollte vollständig durchleuchtet werden, Wahnsinn! Vorher musste ich mich allerdings zum x-ten Mal in diesen Tagen ausziehen und hinlegen. Was dann kam, war für eine Schrecksekunde ziemlicher Horror: Ich wurde auf der Liege festgeschnallt! Sowas löst bei mir normalerweise ziemlich schnell Panikattacken aus, ich musste mich wirklich zusammenreißen. Ein weiteres Problem in meiner Lage, waren die Hustenanfälle, die mich regelmäßig überkamen, wenn ich auf dem Rücken lag. So auch jetzt. Aber glücklicherweise war der Hustenanfall schnell vorbei und es konnte losgehen. Der nächste Schock: Dieser viereckige Kasten, auf dem Bild unterhalb der Liege zu sehen, wurde nach oben gedreht und hing dann wenige Zentimeter über meiner Nase. Auweia! Erinnerungen an das MRT vor 3,5 Jahren wurden wach. Die Röhre war total schrecklich, viel zu eng und höllisch laut! Ich musste damals abbrechen, weil ich Panik bekam.
Hier verhielt es sich ein wenig anders. Das Ding vor meiner Nase war nur vorübergehend dort, die Liege wurde millimeterweise weitergefahren, sodass der Blick irgendwann wieder frei war und dann ging’s. Die Angestellte verließ auch erst dann den Raum, nachdem sie sich noch einmal erkundigt hatte, ob alles in Ordnung sei. Den Umständen entsprechend, ging’s mir gut …
Ich fuhr in Millimeterschritten unter dem Kasten durch und versuchte mich mit meiner misslichen Lage abzufinden, völlig allein gelassen mit meinem Schicksal. Irgendwelche komischen Geräusche waren an dem Dachfenster, das zu weit hinter mir war, um etwas zu sehen, zu hören. Irgendwann identifizierte ich zwischen dem Maschinensurren, dass es wohl Vogelfüße waren, die da auf der Scheibe rumliefen und ab und zu mit widerlichem Quietschen auch abrutschten. Wenn ich gekonnt hätte, hätte es mich geschüttelt. Aber ich war ja festgeschnallt und durfte mich nicht bewegen, wie mir soeben wieder einfiel. Natürlich ist der Drang nach Bewegung nie so stark wie in dem Moment, wo einer sagt: “Jetzt nicht bewegen!” Aber ich hielt tapfer durch. Irgendwann war der Kasten bei meinen Füßen angekommen und ich atmete auf - soweit meine verschleimten Bronchien dies zuließen, denn Husten durfte ich ja auch nicht, weswegen ich schon mehrfach versucht hatte, den Hals mit vorsichtigem Räuspern frei zu bekommen. Wo blieb denn bloß die Angestellte? Meine Liege bewegte sich nicht mehr.
Als sie endlich kam und mich ansprach, hustete ich dann auch erst einmal los. Anschließend war ich in freudiger Erwartung, bald losgeschnallt zu werden. Sie fuhr den Kasten wieder nach unten, sodass er sich wie zu Beginn unterhalb der Liege befand. Dann drückte sie ein paar Knöpfe und ich merkte, wie ich wieder millimeterweise vorwärts glitt, diesmal in die andere Richtung. Offensichtlich wurde ich auch noch von unten durchleuchtet. Die Angestellte verließ den Raum. Meine Nase begann zu jucken. Haha, das ist lustig, dachte sich wohl irgendeine höhere Macht und ließ meine Kopfhaut auch noch jucken.
Himmelherrgottnochmal, ich würde wahnsinnig werden in diesem Raum hier, festgeschnallt auf dieser komischen Liege und hilflos DerGerät ausgeliefert. Dann erblickte ich die Anzeige an dem Apparat, die auch die Millimeter anzeigte, die ich vorwärts fuhr. Immerhin hatte ich jetzt etwas zu beobachten und war ein wenig abgelenkt. Man sollte den Patienten Haschkekse geben, überlegte ich mir. Völlig breit würden die Leute freiwillig bewegungslos liegen bleiben und hätten vermutlich weit weniger Probleme mit dieser ganzen Tortur. Der Gedanke gefiel mir und beruhigte mich ein wenig. Ich weiß gar nicht, wie lange es gedauert hat, vielleicht 30, vielleicht 45 Minuten. Dann war es endlich vorbei. Ich musste noch kurz zur Radiologin, die mir auch bei meinen Knochen Metastasenfreiheit bescheinigte und dann war ich für heute fertig.
Mit dem beruhigenden Wissen, wenigstens noch keine Metastasen im Körper zu haben, und dem absolut abgefahrendsten Photo von mir fürs Familienalbum ging ich nach Hause. Morgen geht’s weiter, mal sehen, wann ich wieder zum Schreiben komme.