Seit fast vier Monaten wohnen wir nun schon im Nordwesten von Rostock. Und da wir hier in unserem Ghetto eigentlich alles bekommen, was wir im täglichen Leben brauchen, haben wir uns bisher noch nicht aufgerafft, mal in die hektische, dreckige, überbevölkerte und auch ziemlich weit weg gelegene (ca. 10 km einfache Strecke) Innenstadt zu fahren. Bis heute, denn ein paar Klamotten-Neuanschaffungen waren von Nöten und die konnten wir hier nicht erledigen.
Wir entschieden uns, mit S-Bahn und Tram zu fahren, das war günstiger und stressfreier als mit dem Auto in die City und dann noch Parkgebühren zahlen. Außerdem hatten wir so die Möglichkeit, ab da, wo wir gerade waren, wieder nach Hause zu fahren. Da für den ganzen Tag Regen angesagt war, war das ein nicht zu verachtender Vorteil.
Zur S-Bahnhaltestelle gingen wir zu Fuß. Auf den Bus hatte ich keine Lust und so ein bisschen Nieselregen hält einen Rostocker nicht davon ab, draußen rumzulaufen. Also benahmen wir uns wie Rostocker und liefen durch den Nieselregen zur S-Bahnstation. Da kauften wir uns ein 4er-Ticket. Die S-Bahnen fahren hier ziemlich häufig, man muss nie lange warten. Und so dauerte es auch nur drei Minuten, bis die S-Bahn kam. In der Innenstadt stiegen wir um in die Tram und fuhren bis zur Einkaufsmeile. Die hält beim Kaufhof vor der Tür und genau da wollten wir als erstes hin.
Wir mussten noch die Fahrbahn überqueren und gerade, als wir die Glastür zum Kaufhof öffnen wollten, sahen wir zwei Männer auf dem Boden miteinander kämpfen. Einer der beiden rief: “Rufen Sie die Polizei!” Dann wurde der Kampf kurz pausiert. Die Männer standen auf und diskutierten in drei verschiedenen Sprachen aneinander vorbei. Aus dem Laden kamen zwei weitere Männer in den Vorraum. Man kennt das ja von Kaufhäusern, die haben immer so eine Art Luftschleuse und in jener spielte sich die dramatische Szene ab.
Da nun alle wieder auf ihren Füßen standen und gerade keine Kampfhandlungen stattfanden, fragte ich nach, ob die Polizei noch benötigt werde. Die Frage wurde positiv beschieden und auf Nachfrage teilte der Mann mit, er sei vom Sicherheitsdienst. Wir riefen die 110. Dem Beamten am Telephon schilderte der Lebensabschnittsgefährte die Lage. Dann standen wir ein wenig unschlüssig herum und mussten uns das Lachen verkneifen. Eine typische dark*-Situation war das hier wieder.
Der Sicherheitsmann diskutierte immer noch mit einem seinem Sparringspartner, der vermutlich russischer bzw. ehemals sowjetischer Herkunft war. Der sprach einen Mix aus Russisch und schlechtem Englisch, der andere einen Mix aus Deutsch und Englisch. Die zwei anderen Männer standen überwiegend schweigend daneben, so wie wir auch. Der Russe wollte immer wieder den Kaufhof verlassen, angeblich zum Rauchen. Ich war aber, wie wohl auch der Sicherheitsmann, davon überzeugt, dass der abhauen wollte. Die Stimmung wurde zwischendurch immer wieder mal aggressiv. Wir entschieden, da zu bleiben, falls evtl. Zeugen gebraucht würden. Außerdem hatten wir ja die Polizei gerufen und konnten danach schlecht einfach weitergehen. Allerdings beachtete uns auch niemand. Die ganze Situation war irgendwie grotesk
Als ich das Martinshorn hörte, ging ich raus zur Fahrbahn, um den Polizisten zu zeigen, wo der Ort der Handlung ist. Als der Wagen hielt, erklärte ich den Beamten noch kurz, wie die Situation war und ist. Wir gingen zurück in den Vorraum. Der Russe, der nach Aussage des Sicherheitsmannes wohl auch nicht ganz nüchtern war, fand Rauchen nun nicht mehr ganz so wichtig und ging stattdessen zwar immer noch unter Protest aber doch mit den Sicherheitsleuten und den Polizisten durch den Laden ins Büro.
Wir konnte nun endlich mit unserem Einkauf beginnen. Zunächst aber stellten wir fest, dass wir froh sein würden, wenn wir endlich in unser friedliches Ghetto zurückgekehrt waren. Dann machten wir uns auf die Suche nach der Sportabteilung, denn wir wollten nach einer Outdoor-Hose und einer warmen Jacke sehen. Tatsächlich fanden wir auch beides, die Hose für den Herrn Lebensabschnittsgefährten und die Jacke für mich. Und das ohne allzu viel anprobieren zu müssen! Ich weiß nicht, wann das zuletzt vorgekommen ist! Danach brauchten wir erst einmal eine kleine Stärkung.
Auch wenn der Seelachs nun nicht gerade der typische Ostsee-Fisch ist, war das Rostocker Panini sehr lecker. Der Herr Lebensabschnittsgefährte aß irgendein kanadisches Durcheinander:
Danach bummelten wir noch ein wenig durch die Stadt. Als wir bei C & A vorbei kamen, wollte ich da auch noch kurz rein, ich brauchte ein paar neue Tops zum Drunterziehen. Außerdem probierte ich noch zwei andere Teile an und konnte es kaum fassen, auch die passten auf Anhieb! Was war denn heute los?! Ich überlegte kurz, auch noch in ein Schuhgeschäft einzukehren, aber dann beschloss ich, mir die gute Laune nicht verderben zu lassen.
Wir gingen noch kurz runter zum Stadthafen, da war ich nämlich auch noch nie. Dort liegen zwei alte Schiffe, ein Schlepper und ein Eisbrecher, die beide einem Verein hier in Rostock gehören, der sich dem Erhalt der Schiffe widmet. Mit dem Schlepper kann man eine Ausfahrt raus auf die Ostsee machen, was uns sehr interessiert. Wir sprachen noch ein wenig mit dem Seemann auf dem Eisbrecher, ließen uns einen Flyer geben, dann fuhren wir nach Hause. Kurz erwogen wir, hierzu die Fähre nach Warnemünde zu nehmen und von dort nach Hause zu fahren, die zu erwartende Wartezeit und der Preis hielten uns aber davon ab. Wir gingen zur Tram und fuhren mit dieser und der S-Bahn wieder heim, raus aus der gefährlichen Stadt.