Diese Seite sieht mit aktiviertem JavaScript am Besten aus

Die Tage danach

 ·  ☕ 5 Minuten zum Lesen

Am nächsten Morgen klingelte um kurz nach Acht in der Wohnung meines Bruders das Telephon.

“Hallo”
“Frau S.?”
“Ja. Also nein. Ich mein, ich bin Frau S., aber nicht die Frau S., die Sie vermutlich erwartet haben.”, stammelte ich in den Hörer.
“Bitte?”
“Ich bin die Schwester von Herrn S.” Ich hatte mich etwas gesammelt.
“Ach so. Können Sie mir sagen, wo Ihr Bruder ist?”
“Arbeiten”
“Nein, hier ist sein Vorgesetzter.”
Ups … “Moment, ich sehe mal nach, ob er noch hier ist.”

Ich wollte gerade nach oben ins Schlafzimmer gehen, als mein Bruder mir entgegen kam. Es war wohl für alle eine lange Nacht.

Eine Stunde später, meine Schwägerin und mein Mann waren zwischenzeitlich auch aufgestanden, klingelte das Telephon erneut: Die Spurensicherung wollte einen von uns am Brandort haben, sie hätten noch Fragen. Mein Mann fuhr hin und ich war froh, dass er weg war.

Der Nachmittag dieses Montags war Stress pur: Wir mussten in die Stadt, Klamotten kaufen. Wir hatten nichts außer den Sachen, die wir am Vortrag trugen. Ich schlenderte lustlos durch die Geschäfte, hatte keinen Bock, mir irgendwas zu kaufen. Ich fühlte mich eher nach Sterben als nach Einkaufsbummel, denn genau dies war es, was in der Nacht in meinem Gehirn wieder freigegeben wurde und sich eingebrannt (Haha!) hatte: Sterben. Warum warst du nicht daheim, warum? Meine Luftschlösser, die Kartenhäuser, die ich um mich herum aufgebaut hatte, waren in Flammen aufgegangen, all das, was nach außen wie ein Leben aussah, war Schutt und Asche, gab es nicht mehr, es gab nur noch mich. Es blieb das übrig, was eigentlich hätte verbrennen sollen.

Ein Lied von der BloodHoundGang geht mir nicht mehr aus dem Kopf: “The roof is on fire. We don’t need no water, let the motherfucker burn. Burn, motherfucker, burn!”

Für die Negierung meiner selbst war jedoch nicht viel Zeit, für Selbstmitleid schon gar nicht, zu viel musste erledigt werden. In den Folgetagen wurde unsere Wohnung überrannt von Kripo-Beamten, Spurensicherung, Gutachtern, Architekten und Handwerkern sowie diversen Neugierigen, geführt von Vermietern und Nachbarn. Ich empfand es als groben Eingriff in meine Privatsphäre, dass Hinz und Kunz durch meine Wohnung, sogar mein Schlafzimmer spazierten. Besonders abartig fand ich die privaten Führungen, die meine Vermieter veranstalteten.

Am Dienstag kam mein Versicherungsmakler, um mit mir eine Liste der Gegenstände meiner Wohnung zu machen, jeweils mit Angabe von Kaufdatum und Preis. Vier Stunden lang bin ich in Gedanken die ganze Wohnung durchgegangen, habe alles aufgelistet, etliche DIN-A4-Seiten vollgeschrieben mit Hausrat, Anschaffungsdatum und Kaufpreis. Meine oft belächelte Pedanterie, mit der ich meine Sachen aufräumte, war mir dabei eine große Hilfe. Auch die Tatsache, dass sich mein sonst eher beschissenes Gedächtnis sich sehr gut merken kann, wann ich was zu welchem Preis gekauft habe. Als wir fertig waren, meinte er: “Das hätten wir uns sparen können, wenn du in deinem Vertrag die Klausel für den Unterversicherungsverzicht hättest.” Ich musste lachen: “Die hab ich drin.” Nun ja. Immerhin hatte ich nun eine Inventur von dem, was ich mal hatte.

Am Mittwoch kam der Sachverständige von der Versicherung und wollte die ganze Liste noch einmal durchgehen, begutachtete das, was man in der Wohnung noch erkennen konnte.

Donnerstags zogen wir bei meinem Bruder wieder aus und in das feuchte Zimmer meiner Tochter. Ich wollte in ihrer Nähe sein, klammerte mich emotional an das Haus, den Garten, das letzte bisschen Leben, das übrig geblieben war. Aus dem Aquarium in der ausgebrannten Wohnung rettete ich die Fische und stopfte sie in das 60-Liter-Becken, das noch im Keller stand.

Am Freitag kam der Geräte-Sachverständige, der die genaue Brandursache klären musste, da man die Herstellerfirma des betreffenden Gerätes in die Produkthaftung nehmen wollte.

Am Wochenende erzählte mein Nachbar, dass er die halbe Nacht nach dem Brand in seinem Wohnzimmer gesessen hätte und die Decke beobachtete, ob das Löschwasser auch zu ihm durchkäme. Nach zwei oder drei Stunden durchfuhr ihn plötzlich der Gedanke: “Denen ist die ganze Wohnung abgebrannt und du sitzt hier und machst dir Gedanken um einen lächerlichen Wasserfleck.” Er kam sich plötzlich ziemlich albern vor und ging ins Bett.

Am Montag wurde der Container für unseren Kram aufgestellt. Ich bestand darauf, die Wohnung selbst auszuräumen um zu sehen, was von dem ganzen Zeug evtl. doch noch brauchbar war (fast nichts), bzw. von mir aus Sentimentalität zum Artefakt mit Erinnerungswert erklärt und im Keller deponiert wurde. Als alles auf dem Container und die Wohnung leer war, standen wir (mein Mann, Schatzis Vater und ich) vor dem Container und ich murmelte: “Da liegt mehr, als nur mein Hausrat.”

Life goes on.

Ich musste den Geburtstag meiner Tochter vorbereiten. Ich musste die Lehrerin von ihr anrufen und informieren, was passiert ist, bevor die Sommerferien vorbei sind. Ich halte es für besser, dass sie unterrichtet ist und nicht geschockt vor der Klasse steht, wenn sie von Schatzi hört, was geschehen war. Schatzi hat ein sehr gutes Verhältnis zu ihrer Lehrerin, erzählt ihr fast alles. Die Wohnung durfte sie sehen, nachdem wir das tote Kaninchen aus dem Käfig entfernt hatten, das sollte sie nicht sehen. Ihr Papi hat im Garten ein Loch gegraben, in dem Blumenbeet, das Schatzi gehört. Ich trug den leblosen kleinen Körper die Treppe runter, streichelte ihn immer wieder, musste die ganze Zeit daran denken, wie er immer einem kleinen Hund gleich hinter mir her lief in der Wohnung, wie er abends zu mir kam und darauf wartete, dass ich meine Beine ausstreckte, damit er auf meinen Schoß klettern konnte. Viele Nächte hat er dort geschlafen, während ich Nintendo oder PlayStation spielte. Er tat mir so unendlich leid, hatte es nicht verdient, im Rauch zu ersticken, qualvoll zu verrecken. Ich kämpfte die ganze Zeit mit den Tränen, konnte sie aber nicht mehr zurückhalten, als Yoshi in dem Erdloch lag und von der Erde zugedeckt wurde. Mein Mann bastelte ein Kreuz für ihn, der Name und das Todesdatum hat er mit einem Lötkolben “eingraviert” und ich klebte ein Foto von ihm darauf.

Sowohl die Feuerwehr, als auch die Kripo, ebenso der Geräte-Sachverständige der Versicherung sagte immer wieder zu mir: “Seien Sie froh, dass Sie nicht zuhause waren, kein Mensch wäre lebend aus der Wohnung rausgekommen.”

Dieser Frohsinn will bis heute nicht aufkommen.

Teile auf

dark*
geschrieben von
dark*
...