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Der Tag X

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Wir sitzen auf einer Bank im Park der psychiatrischen Klinik, wo wir B. besuchen. Mein Mann ist bei Mc Donald’s, als der Pfleger angerannt kommt: “Herr B. sie müssen dringend zuhause bei Frau S. anrufen, es brennt!” Das kann nicht sein, Frau S. bin ich und ich bin ja hier. Der Pfleger weiß nichts Genaueres. Mit dem Handy meiner Schwägerin, die auch dabei ist, versuche ich bei mir daheim anzurufen. Der Anrufbeantworter meldet sich nicht, kein gutes Zeichen. Ich gehe mit dem Pfleger zurück zur Station, J. ist am Telephon.

“Du musst sofort nach Hause kommen, deine Wohnung brennt.”
“Ich kann jetzt nicht weg, mein Mann ist noch bei Mc Donald’s.”
“Ok, wenn dir das egal ist, dann fahr ich jetzt eben wieder.”
Huch, den Tonfall kenne ich, die meint es ernst.

Ich muss B. noch ein paar Zigaretten da lassen. Der Pfleger meint: “Das ist jetzt nicht wichtig”, und schiebt mich ungeachtet meiner Proteste, dass es doch wichtig ist, durch die Tür. Langsam wird mir bewusst, was J. eben am Telephon sagte, dementsprechend hetze ich zur Pforte, die Telephonistin sieht mich und zeigt stumm auf den Ausgang, wo J.s Auto steht, auf dem Rücksitz mein tränenüberströmtes Schatzi.

J. fährt wie der Teufel. “Soll ich nicht lieber fahren? Du brauchst deinen Führerschein, ich kann zur Not auf meinen Verzichten.”
“Nein, geht schon.”
“Aber wenn du ein Ticket bekommst, zahl ich es.”
“Meine Güte!”, faucht sie mich an, “Deine Wohnung brennt! Hast du keine anderen Sorgen?!”

Nein, habe ich momentan offengestanden nicht. Die Wohnung brennt, daran kann ich auch nichts ändern. Außerdem habe ich immer noch die Vorstellung, dass nur der Toaster oder so in die Luft geflogen ist und hier viel Wind um nichts gemacht wird - bis wir in die Straße einbiegen, in der ich wohne. Eine der meistbefahrensten Straßen dieser Stadt ist gesperrt, das macht die Polizei nicht wegen einem Toaster.

“Ich darf nicht abbiegen, die Straße ist gesperrt.”
“Natürlich darfst du. Fahr einfach, ich mach das schon.”

Gegenüber unserem Haus stehen etliche Schaulustige; überall blitzen Blaulichter, Polizisten wohin man guckt, Krankenwagen und natürlich Feuerwehr. Eine Polizistin stoppt den Wagen. Mit den Worten: “Das ist meine Wohnung, die da brennt.”, steige ich aus und komme mir vor wie in einer Filmkulisse und ich bin der Hauptdarsteller, der gerade den Set betritt. Ich warte darauf, dass irgendwo aus dem Megaphon des Regisseurs ein heiseres “CUT!” gebrüllt wird. Aber es brüllt keiner, warum brüllt denn keiner? Mir wird komisch.

Die ganze Situation wirkt viel zu grotesk, um real zu sein. Ich habe noch nie so viele Menschen in Uniformen und mit Funkgeräten auf einen Haufen versammelt gesehen. Unter mir auf dem Gehweg liegen Schläuche, über mir sind zwei Leitern. Das alles soll in meine Wohnung führen. All die Menschen um mich herum habe ich noch nie zuvor gesehen, aber sie alle waren in meiner Wohnung, in meinem Reich.

Ich hänge irgendwo zwischen Ungläubigkeit und Realisieren was hier gerade geschieht in einer Fassungslosigkeit fest, was mir unwillkürlich ein Grinsen entlockt. Die Polizistin guckt mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. “Sorry, aber ich glaub das hier alles noch nicht.” Jetzt bloß keinen falschen Eindruck erwecken, sonst denken die nachher noch, ich hätte die Bude selbst in Brand gesteckt oder sonstwas Verrücktes. Sie reicht mich an Kollegen weiter, Personalien müssen aufgenommen werden, sie haben 1000 Fragen an mich. Ich gebe ihnen meine Brieftasche: “Irgendwo da drin ist mein Ausweis.” Sollen sie doch selber suchen, ich suche jetzt jemanden, der Klarheit in meinem verwirrten Kopf schafft. Ein Feuerwehrmann nimmt gerade die Gasmaske ab, er scheint somit prädestiniert für mein Anliegen zu sein. Ich erfahre von ihm, dass der Brand in der Küche ausgebrochen ist - so weit entfernt lag ich mit der Vorstellung von dem Toaster vielleicht doch nicht - dass mein Kaninchen tot im Käfig liegt und: “Die Fische im Aquarium schwimmen aber noch”, fügt er lächelnd hinzu.

Ich will die Wohnung sehen. Der Einsatzleiter der Feuerwehr diskutiert mit seinem Funkgerät und lässt sich von mir überreden.

“Sind Sie sicher, dass sie das verkraften?”
“Hab ich ne andere Wahl? Irgendwann muss ich eh da rauf.”

Im Treppenhaus funktioniert das Licht nicht, das ganze Haus ist ohne Strom, dafür stinkt es bestialisch. Ich muss aufpassen, dass ich nicht über die Schläuche stolpere oder auf den vom Löschwasser durchnässten Stufen ausrutsche. Der Gestank wird mit jeder Stufe intensiver, nach Toaster riecht das nicht. In der 2. Etage wohnen C. und Schatzi, die Wohnungstür ist eingetreten, im Kinderzimmer fangen Blechgefäße das durch die Decke tropfende Löschwasser auf.

Eine Mischung aus Wasser und Asche sowie durchsichtigen und schwarz verrußten Glasscherben bedeckt die Stufen zur letzten Etage so dicht, dass man den ursprünglichen Belag nicht mehr sieht. Das Velux-Fenster im Treppenhaus ist durch die Hitze geplatzt. Die ursprünglich weiße Tapete ist pechschwarz. Am Ende der Treppe steht ein riesiger Lüfter, der einen Höllenlärm macht. Meine Wohnungstür gibt es nicht mehr, statt dessen liegen Kohlestücke auf dem Boden und irgendwo dazwischen die verrußten Beschläge. Schwer hängt der Rauch in der Luft, brennt beim Atmen in der Lunge. Es ist unerträglich heiß.

In meiner Küche, na ja was vor zwei Stunden noch meine Küche war, stehen zwei Feuerwehrmänner. Ich sehe sie nur undeutlich durch den dunklen Rauch. Ich höre ein eigenartiges Geräusch, sie atmen durch Gasmasken. All das, die Geräusche, der Rauch, die Trümmer auf dem Boden, das schwärzeste Schwarz, das ich jemals sah, an den Wänden und einfach überall, all das wirkt so unwirklich und verbreitet trotz der unglaublichen Hitze eine eigenartig kalte Atmosphäre.

Ich warte auf den Moment des Aufwachens, auf das Ende meines Alptraumes, darauf, die Twilight-Zone zu verlassen. Gleichzeitig völlig klar im Kopf und wissend, dass das kein Traum ist, dass mein Leben sich diesmal von seiner miesesten Seite zeigt. Irgendetwas passierte in mir, als würden tausend Schalter in meinem Kopf gleichzeitig umgelegt. Ich bin hier, mittendrin in all dem Schwarz, aber irgendwie weit weg, fremd.

“Sie müssen wieder runter, die Luft ist giftig ohne Gasmaske.” Ich muss schreien, damit er mich durch den Lärm des Lüfters versteht, meine Kraft ist verschwunden, ich bringe nicht einmal ein Hauchen hervor. Eine fremde Stimme brüllt ihn an: “Nein, ich will die Wohnung sehen, wenigstens mal um die Ecke gucken, wie das Wohnzimmer aussieht.” Er spricht wieder mit seinem Funkgerät und ein Gasmaskenträger kommt aus meinem Wohnzimmer und deutet mir ihm vorsichtig zu folgen.

Die Hitze ist unerträglich, der Rauch brennt immer stärker in den Lungen. Erstaunlich, dass alles noch an seinem Platz steht. Das hatte ich nicht erwartet. Die ehemals hellgelben Wände sind völlig schwarz, eine Fensterscheibe eingeschlagen um der Feuerwehr den Zutritt zu ermöglichen. Wenn ich nicht mit einer Rauchvergiftung im Krankenhaus landen möchte, muss ich gehen. Ich verlasse die Hölle, meine Hölle.

Die Kripo verhört mich, meinen zwischenzeitlich eingetroffenen Ehemann, meine Tochter und auch J., Routine-Programm. Man befragt J. und Schatzi, wo sie waren, wann sie zuletzt in der Wohnung waren und wie sie den Brand bemerkt hätten. Sie kamen zurück vom Spaziergang mit dem Hund, brachten diesen zu J. nach Hause und fuhren zu unserem Haus. Aufgrund des schönen Wetters und J.s Faulheit gingen sie nicht nach oben in die Wohnung, blieben lieber im Garten sitzen, nachdem sie sich nebenan in der Eisdiele ein Eis geholt hatten. Schatzi meinte, es würde komisch riechen, als ob jemand grillt aber irgendwie anders. Sie sah am Haus hoch und sah aus unserem Schlafzimmerfenster Rauch quellen. J. erfasste die Lage sofort, drückte Schatzi den Autoschlüssel in die Hand und sagte ihr, sie solle sich ins Auto setzen und nicht vom Fleck rühren, sie würde nachschauen, was da los ist. Außerdem wollte sie Yoshi, unser Kaninchen, retten. Im Treppenhaus kam ihr eine Polizistin entgegen, die ihr verboten hat, nach oben zu gehen. J. überreichte der Polizistin den Wohnungsschlüssel und sagte ihr, dass sie die Mieter der Wohnung nun abholen würde. Daraufhin fuhr sie zur Klinik, um mich zu holen.

Besagte Polizistin fuhr mit ihrem Kollegen Streife, als sie sahen, wie Rauch und Flammen aus meinem Küchenfenster schlugen und sofort die Feuerwehr alarmierten. Die war recht schnell zur Stelle, da sonntags auf den Straßen nicht viel los ist bei dem schönen Wetter. Zeitgleich hatte ein Bewohner von Gegenüber die 112 angerufen. Ungefähr 10 bis 15 Minuten Brandzeit hatten ausgereicht mein Luftschloss in die Hölle zu katapultieren.

Mich machen die Fragen des Kripo-Typen nach dem gesamten Tag, detailliert mit Orts- und Zeitangaben, ungehalten. “Ich hätte sicher nicht mein 6 Monate altes Kaninchen in der Wohnung gelassen. Vor 11 Monaten haben wir zwei Monate lang da oben renoviert wie blöde. Nichts von meinen Sachen war älter als 3 bis 4 Jahre, vor sieben Wochen habe ich mir erst einen nagelneuen Computer gekauft. Glauben Sie ernsthaft, ich fackle mich selbst in die Obdachlosigkeit?!” Nein, alles nur Routine.

J. und ich stehen auf dem Gehweg.
“War irgendwie klar, dass dir sowas passiert.”
“Ja.” Es ist ein Witz, mein ganzes Leben ist ein Witz. Aber keine Sau lacht über die Pointe.

Die Spurensicherung will, dass ich die Geräte in der Küche identifiziere. Ich muss wieder nach oben und erkläre dem Beamten was welches Gerät war, man kann ja kaum noch etwas erkennen. Er wundert sich über Teller und Schüsseln im Eisschrank. “Die waren nicht da drin, sondern im Hängeschrank darüber.” Was denkt der denn? Er schaut nach oben. “Wo ist denn der Hängeschrank?” Was für eine Frage! “Verbrannt?!” Nun ja, ich reiße mich besser zusammen und erkläre ihm wie die Küche zuvor ausgesehen hatte.

Auf dem Weg nach unten sehe ich, dass das Wasser nicht mehr in Schatzis Zimmer tropft, es läuft in Sturzbächen aus der Decke. Ihr Zimmer ist ruiniert, meine Nerven ebenso. Dass ich mein ganzes Hab und Gut soeben verloren hatte, kann ich gerade noch verkraften, aber dass es meiner Tochter ebenso ergehen soll, ist einfach zu viel! Ich falle auf die Knie und schreie. Ich kann nicht mehr. Aber der Kripobeamte faselt was von Notarzt und ich reiße mich wieder zusammen. Bloß kein Arzt! “Nein, geht schon wieder. Ich muss hier raus.”

Wieder auf der Straße höre ich aus dem Funkgerät eines Feuerwehrmannes den Satz “Bring die Axt mit!” Axt? “Was macht ihr damit?” Wer meine pedantische Ordnungsliebe kennt, weiß, warum mir bei der Vorstellung einer Axt in meiner Küche die Knie weich werden. “Die Geräte müssen aus der Küche raus, der Brandherd lokalisiert und ein Schwelbrand ausgeschlossen werden.” Aha. Mir fällt wieder ein, wie die Küche jetzt aussieht, da kommt es auf die Axt auch nicht mehr an. Sie schmeißen die Geräte wie Waschmaschine, Trockner, Gefrier- und Eisschrank die Treppe runter, wofür die Mühe des Tragens machen? Als ich die Waschmaschine angeflogen kommt, muss ich lachen: “Da ist noch Garantie drauf. Ob ich einen Schaden reklamieren soll?” Wenigstens mein Humor war mir geblieben.

Die Feuerwehrmänner sind mit ihrer Arbeit fertig. Der Einsatzleiter spendiert Eis für seine Kollegen und sie feiern.

“Was feiert Ihr denn?”
“Für den Kollegen dort ist es der erste Brand”
“Für mich auch, bekomm ich jetzt auch ein Eis?” Er guckt mich betroffen an. “Schon gut”, sage ich bevor er etwas sagen kann. “Danke für alles.”
“Wir haben nur unseren Job getan.”
“Ich weiß, trotzdem Danke.”
“Eine Frage muss ich Ihnen noch stellen: Wissen Sie, wo Sie heute übernachten? Wenn nicht, müssen wir Sie und Ihren Mann irgendwo unterbringen.”
“Was heißt irgendwo?”
“In einem Obdachlosen-Asyl.” In seinem Gesicht ist deutlich zu erkennen, dass er davon genauso wenig hält wie ich.
“Auf keinen Fall! Eher schlafe ich in meinem Auto. Aber keine Sorge, wir kommen schon bei jemandem unter.”

Ich hatte mir noch gar keine Gedanken darüber gemacht. Schatzi und ihr Papi sind bereits zu einer Bekannten gefahren, wo sie übernachten; die beiden sind also versorgt, was mir viel wichtiger ist. Schlafen. Als ob ich heute Nacht schlafen könnte. Irgendwann in dem Durcheinander rief ich meinen Bruder an, damit er meinem Versicherungs-Heini informiert, der sein Schwiegervater ist. Es kam sofort her und bietet mir jetzt an, bei ihm zu übernachten.

Einer meiner Nachbarn kommt in diesem Moment mit seiner Freundin von einem Wochenend-Urlaub zurück. Als die beiden das Geschehen einigermaßen umrissen haben, bieten sie mir an mein Auto bei der Klinik abzuholen. Mir hatte die Kripo ein Fahrverbot quasi auferlegt. Da der Gesetzgeber davon ausgeht, dass man nach einem solchen Ereignis nicht in der Lage sei, ein Kraftfahrzeug mit der ausreichenden Konzentration zu führen, hätte ich bei einem eventuellen Unfall auf jeden Fall eine Teilschuld. Soso. Nachdem ich soeben allen materiellen Besitz verloren hatte, empfinde ich dies nun, als würden mir auch noch geistige Fähigkeiten genommen werden. Aber was soll’s, ich resigniere. Dann soll mein Nachbar eben das Auto holen und ich lasse mich später zu meinem Bruder fahren.

Die Feuerwehr wird zu einem anderen Brand zwei Blocks entfernt gerufen, Installateur und Elektriker versorgen das Haus wieder mit Wasser und Strom, ein Schreiner ersetzt die verbrannte Wohnungstuer notdürftig durch ein paar Holzbretter, die von der Kripo versiegelt werden.

Nicht nur der Tag ist vorbei.

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dark*
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