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Infekt-Impact

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Letzte Woche Dienstag waren wir auf dem Konzert von Die Ärzte gegenüber im IGA-Park. Eine blöde Idee, entstanden in der Frisch-geimpft-Corona-bald-vorbei-Phase im letzten Jahr, als die E-Mail mit der Ankündigung kam und ich spontan die Tickets kaufte. Immerhin Open-Air, beruhigte ich mich und ging nach langem Zaudern hin, als die Vorband schon lange spielte und die Schlangen am Einlass verschwunden waren. Wie erwartet waren wir so ziemlich die einzigen, die zu dieser Gelegenheit (Ticket- und Taschenkontrolle, Abtasten) Masken trugen.

Wir suchten uns einen Platz ganz hinten, setzten uns erst auf die Wiese und standen auf, als das Konzert begann. Wir blieben ganz hinten stehen. Alle, die hier hinten standen, hielten Abstand, näher als 1,5 Meter stand da keiner, wir waren draußen und es war windig. Zu keinem Zeitpunkt fühlte ich mich da unsicher oder hatte das Gefühl, dass mir Leute zu nahe kamen. Und ich bin da seit Ausbruch der Pandemie noch empfindlicher als vorher, wenn mir einer zu dicht auf den Pelz rückt.

Am Mittwoch war noch alles easy.

Am Donnerstag bin ich mit trockenem Hals aufgewacht, es fühlte sich an, als hätte ich mit offenem Mund geschlafen. Das ging mit einem Schluck Wasser und dem Morgenkaffee auch zunächst wieder weg. Oder es wurde zumindest von dem Stress, mich aus dem Bett schälen und einkaufen zu müssen, überlagert. Normalerweise gehen wir alle zwei Wochen dienstags morgens um sieben Uhr einkaufen, aber da für Samstag die Abreise in den Urlaub geplant war, mussten wir noch ein paar Lebensmittel besorgen. Hier war ja kein Feiertag.

So wirklich fit war ich dann aber doch nicht, beim Einkaufen etwas unkonzentriert, irrte orientierungslos im Laden herum. Dem habe ich aber noch keine Bedeutung beigemessen. Im Laufe des Vormittags wurden die Halsschmerzen stärker und ich fühlte mich zunehmend schlapper. Zu Mittag gab es Nudeln, für den Lebensabschnittsgefährten mit Pesto und für mich mit Ketchup. Der Ketchup schmeckte scheußlich nur sauer und furchtbar süß, überhaupt nicht nach Tomate. Ich habe nicht aufgegessen.

Im Laufe des Nachmittags schwollen die Nebenhöhlen zu, ich legte mich auf die Couch, zusammen mit der ersten Vorahnung, dass es sich um etwas Ernsteres handeln könnte. Als der Lebensabschnittsgefährte Feierabend machte, ging es mir ziemlich schlecht. Ich weiß zwar noch, dass wir beim Einkaufen einen Berliner für mich und einen Donut für den Lebensabschnittsgefährten mitgenommen haben, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern, dass wir die auch gegessen haben.

Was ich aber noch weiß: Ich habe die Packung mit Tests, die meine Schwiegermutter uns vor Monaten geschickt hatte, aus den Schrank geholt. Blöderweise sind diese für einen Nasen-Rachen-Abstrich.

Nase-Rachen-Abstrich

Ziemlich ungeeignet als Selbsttest, erst recht für jemanden wie mich, der ein ziemlich gestörtes Verhältnis zu Gegenständen in Körperöffnungen hat. In die Nase darf nur Luft, sonst nichts. Ich werde auch nie verstehen, wie man sich freiwillig irgendwelche Pulver durch die Nase ziehen kann. Aber das ist ein ganz anderes Thema, nun versuchte der Lebensabschnittsgefährte mir diese meterlange Plastiklanze in die Nase zu rammen, während ich versuchte, tapfer zu sein.

War ich nicht.

Nach etwa einem Zentimeter fing mein Auge zu tränen an, nach höchstens zwei Zentimetern war Schluss. Es war furchtbar und es schmerzte. Nicht nur war meine Nase Dank geschwollener Nebenhöhlen sehr gereizt, generell sind meine Schleimhäute seit der Chemotherapie sehr empfindlich und bluten auch ständig. Mit einem zweiten Stäbchen versuchte ich es noch im Mund, kam aber nicht weiter als bis zu den Mandeln. Diese beiden, nicht korrekt durchgeführten Tests waren natürlich negativ.

Ich hatte genug davon, nahm zwei Grippostad und litt vor mich hin. Den ganzen Tag schon war ich immer wieder schrecklich müde und döste vor mich hin oder schlief, außerdem hatte ich leichte Kopfschmerzen, die aber auszuhalten waren.

Geringes Risiko in der CWA

Die Corona-Warnapp zeigte außer der netten Mittelfingergraphik übrigens auch an, dass es am Abend des Konzerts eine Begegnung mit geringem Risiko gab. Irgendjemand stand wohl in meiner Nähe, der ein positives Testergebnis hat, wie die Auswertung mit WarnApp-Companion ergeben hat.

Auswertung WarnApp-Companion

Am Freitagmorgen wurde ich wach mit Halsschmerzen, schwer leidenden Nebenhöhlen und fast ohne Stimme. Ich blieb im Bett. Vormittags telefonierte ich mit einer Bekannten, mittags gab es Hühnersuppe, zwischendurch immer wieder mal ein Eis, das der Lebensabschnittsgefährte mir brachte. Mehr war an dem Tag nicht drin.

Der Nasenabstrichtest von Hotgen war auch viel zu schmerzvoll, links ging einigermaßen aber viel zu kurz, rechts gar nicht, Ergebnis negativ.

Samstagmorgen ging es mir deutlich besser. Bevor ich aus dem Bett aufstand, fühlte ich mich fit wie der sprichwörtliche Turnschuh. Das relativierte sich allerdings ein wenig, nachdem ich mein Bett verlassen hatte. Mein Kopf fühlte sich immer noch sehr schwammig an und mein Körper als wäre ich von einem Bus überfahren worden. Bewegungen waren sehr langsam, der Körper fühlte sich an wie leichter Muskelkater. Dafür tat der Hals kaum noch weh und die Nase fühlte sich nach Schnupfen an. Ich räumte ein wenig auf, ein gutes Zeichen.

Im Laufe des Vormittags setzte dann Husten ein, ziemlich unangenehm und schmerzhaft. Die meiste Zeit versuchte ich den Hustenreiz zu unterdrücken. Vom Husten schmerzte dann auch wieder der Hals. Mein Gehirn war noch ziemlich unbrauchbar. Den ganzen Tag schwankte ich mehr als dass ich lief. Wie auf Droge oder wie besoffen fühlte ich mich. Abends spielten der Lebensabschnittsgefährte und ich etwas auf der Wii, aber da meine Reflexe ziemlich bescheiden waren, gaben wir das schnell wieder auf und ich ging zurück ins Bett. Eigentlich hätten wir an diesem Samstag in den Urlaub fahren wollen, was wir aus Gründen nicht getan haben.

Der Sonntag verlief ähnlich wie der Samstag. Am Montag besserte sich mein Zustand dann endlich.

Den Text bis Samstag hatte ich Samstagabend, als ich im Bett lag, in Stichworten auf dem Smartphone geschrieben. Das war auch ganz gut so, denn jetzt beim Ausformulieren stelle ich fest, dass ich ziemliche Erinnerungslücken bezüglich dieser Tage habe. Am Dienstagmorgen fühlte ich mich gut genug, um zu duschen. Die Dusche ist - jeder, der schonmal ernsthaft krank war oder operiert wurde, weiß das - DER Meilenstein im Genesungsprozess schlecht hin. Nach dem Duschen geht’s aufwärts!

Heute Morgen überlegte ich, spazieren zu gehen. Ich würde gerne austesten, ob ich das Treppensteigen ohne Probleme schaffe. Wir wohnen in der 5. Etage ohne Aufzug. Aber ich bin noch nicht ganz symptomfrei. Der Kopf ist immer noch etwas schwammig und mir wird ab und zu schwindelig. Die Nase ist noch ein wenig verstopft, die Stimme noch leicht belegt. Die Stimme der Vernunft (etwas weniger belegt) meinte aber, dass ich - falls ich Covid-19 habe - ja andere anstecken könnte. Und so blieben wir zuhause.

Der Herr Lebensabschnittsgefährte hatte übrigens gar nichts. In den ersten Tagen hörte ich ihn mehrmals niesen. Ob es da einen Zusammenhang gab oder das nur Zufall war, ist absolut unklar. Seit gestern Abend hat er ein klein wenig Halskratzen, fühlt sich aber nicht krank.

Um an eine bestätigte Diagnose zu kommen, hätte ich zunächst einen Schnelltest machen lassen müssen. Dies ginge hier im Viertel in der Apotheke (in der übrigens während der gesamten Pandemie niemand eine Maske getragen hat) oder am S-Bahnhof. Sollte dieser positiv sein, müsste ich in die Innenstadt ins PCR-Testzentrum der Uniklinik. Darauf habe ich nicht nur keine Lust, das hätte ich auch gar nicht geschafft.

Und dann habe ich außerdem für mich beschlossen, dass ich das gar nicht wirklich wissen will. Meine größte Sorge gilt ja schon seit Monaten nicht mehr einem schweren oder gar tödlichen Verlauf. Da fühle ich mich durch die Impfung gut geschützt. Long- bzw. Post-Covid ist es, was mir Sorge bereitet. Und da bin ich schon mit den Langzeitfolgen der Chemotherapie ausreichend bedient, Fatigue z. B. ist mir nicht fremd, da muss nicht noch ein Virus ein Schüppchen drauflegen. Wer mich während der Chemo begleitet hat, weiß vielleicht noch, dass mein Körper nur allzu gerne alles Optionale mitnimmt. Und so lange die Möglichkeit besteht, dass es irgenein anderes Erkältungsvirus war, ich also nur Schrödingers Covid-19 hatte, kann ich ihn vielleicht überlisten.

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