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Rama-Familie

 ·  ☕ 4 Minuten zum Lesen  ·  ✍️ dark*

Ja ja, bin schon fein aufgewachsen – teilweise zumindest. Klavierunterricht, Reitunterricht, humanistisches Gymnasium, Theaterbesuche … Zum kotzen!

Zu Weihnachten schön einen auf heile Familie machen (ice würde das Rama-Familie nennen) und die niedlichen kleinen Kaninchen aufessen, die Klein-darki mit soviel Sorgfalt gehegt und gepflegt hat und die mich erkennen ließen, dass mein Großvater ein brutaler Mörder war. Naja, ganz so schlimm war er natürlich nicht, seine mörderischen Ambitionen beschränkten sich lediglich auf die Kaninchen zum Zwecke der Nahrungsaufnahme, diverses unerwünschtes Kleingetier innerhalb des Hauses und halbtote Fische aus dem Gartenteich, denen er voller Gnade das letzte bisschen Leben aushauchte um sie vom langen, qualvollen Krepieren zu erlösen. Selbstredend, dass ich Kaninchen, deren Namen ich kannte, nicht zum heiligen Fest der Liebe verspeisen konnte. Prinzipiell mag ich Kaninchenbraten gerne, aber ich esse nunmal nichts, dessen Namen ich kenne, was noch lebt oder was mich anguckt. Ich war mal bei einem Spanferkelessen eingeladen und saß am Kopfende des Tisches. Wobei Kopfende hier wörtlich zu nehmen ist, da das Ferkelchen in einem Stück auf dem Tisch lag, die niedliche Steckdosen-Nase in meine Richtung. Ich fühlte mich von dem Tier beobachtet, obwohl die Augen aufgrund der Hitze bei der Zubereitung sich verflüssigt hatten und in das Innere des Schädels gelaufen waren; gegessen habe ich es nicht.

Die Kehrseite der Rama-Familien-Medaille sieht schon ein wenig anders aus. Damals, als ich in die dritte Klasse der Grundschule ging und für ein Jahr bei meiner Mutter wohnen musste, weil mich meine Großeltern doch nicht haben wollten (ich war ihnen zu anstrengend). Da gab es dann den krassen Gegensatz zu den Völlereien im heimischen Reihenhaus mit dem Spielplatz vor der Türe.

Oh, da war ich schon auch einmal auf einem Spielplatz – bis mich die Polizei um 22:30 h nach Hause brachte, verwundert darüber, dass kein Mensch das neunjährige Mädchen vermisst, dass da heulend auf der Rutsche saß, weil es wieder einmal seinen Schlüssel verloren hatte und daheim eh nie jemand war; während die Mutter des Mädchens sich lieber in dunklen Spelunken rumtrieb und durch die Gegend hurte, um ein Essen in einem Nobel-Restaurant oder einen Urlaub bezahlt zu bekommen. Und wenn das Mädchen sagt “hurte”, weiß es wovon es spricht, weil man in einer 1-Zimmer-Wohnung nunmal nicht geheimhalten kann, wenn man mit zwei Typen nach Hause kommt und bei dem, was man dann tut, nicht gerade leise ist. Und das neunjährige Mädchen wusste, was sie da tun, sie weiß nur nicht woher. Vielleicht hätte sie es eher akzeptieren können, wenn wenigstens was Essbares im Haus gewesen wäre und sie nicht so manches Wochenende hungernd alleine in der Wohnung verbracht hätte. Allein mit dem Ekel vor der eigenen Mutter und den Abscheulichkeiten, die diese ihr zu sehen und zu hören gab; unbewusst und unbedacht, klar, aber das machte es nicht besser. Eher im Gegenteil, weil es nur erkennen ließ, dass man nicht erwünscht war und schnell in Vergessenheit geriet. Schade, dass das neunjährige Mädchen nicht gelernt hatte zu verzeihen. Es hätte der Mutter sicherlich auch verziehen, dass diese ihr immer nur vorwarf, dass es überhaupt lebte. Vielleicht hätte die Mutter damit aufgehört, wenn das Mädchen ihr erzählt hätte, dass es nächtelang wach lag und träumte, wie die Welt wohl wäre, wenn es nie geboren worden wäre oder stürbe.

Ja, meine Eltern liebten mich. So sehr, dass sie mich vor Gericht zerrten um darüber zu streiten, wo ich meine Sommerferien verbringe. Und so sehr, dass ich wieder aus der Rama-Familien-Idylle in die kalte 1-Zimmer-”Du bist hier nicht erwünscht”-Realität nach München umziehen musste. Und dann auch noch die Klosterschule. Ich war die einzige Schülerin aus geschiedener Ehe. Teufel auch! Das war echt too much für die guten Nonnen. Ach nein, C.T. ist ja auch aus geschiedener Ehe, allerdings ist die Mutter Architektin und der Vater Rechtsanwalt und die großzügigen Spenden für das Kloster machten C.T. zur beliebten Schülerin und nur mich zur unerwünschten Außenseiterin bei der Lehrerschaft und (um den Notenschnitt aufzubessern) auch bei den meisten Schülerinnen. Das morgendliche Ave-Maria-Gesinge und den wöchentlichen Gottesdienst hab ich relativ schadlos überstanden bis zur Firmung, als den zahlreichen Gattinnen Gottes auffiel, dass ich nicht zur Kommunion gegangen war. Schock! Ein Aufschrei ging durch die Reihen entrüsteter Christinnen und meine Tage auf der Klosterschule waren gezählt. Meinen ohnehin nicht wirklich vorhandenen Glauben an Gott haben sie mir völlig ausgerottet. Als ich kleiner war dachte ich schon immer, dass dieser allmächtige und grenzenlos gütige Übervater entweder nicht existent sein kann oder mich schlicht übersehen hat, was wiederum in meine kindliche Theorie passte, dass mich nie jemand freundlich beachten würde und es keinem, aber auch wirklich keinem, nicht einmal Gott, auffallen würde, wenn ich nicht mehr da sei bzw. gar nicht erst existiert hätte.

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